In dieser Woche vor 3 Jahren sind wir ausgewandert. Haben die Schweiz und Deutschland hinter uns gelassen, um unser Leben von da an am nördlichsten Ende Europas fortzusetzen. Zu Beginn unserer Jubiläumswoche waren wir bei Freunden zu einem Geburtstagsfest eingeladen. Was - bedenkt man nicht nur die kulturelle Abgeschiedenheit der Finnen, sondern auch die Distanzen die hier vor Ort zwischen den einzelnen Menschen liegen - nicht so häufig der Fall ist. Um ein Gefühl für die Grössenordnung unseres neuen Zuhauses zu bekommen, hier ein Vergleich: Die Kommune in der wir leben ist flächenmässig in etwa so gross wie das Bundesland Rheinland-Pfalz. (oder die Kantone Bern, Tessin, Wallis, Zürich und St.Gallen zusammen genommen) In Rheinland-Pfalz leben knapp 4,1 Mio Menschen (In den o.g. Kantonen knapp 3,8 Mio).
In unserer Gemeinde Inari leben 6400 Menschen. Somit liegt unser neues Zuhause in einem der am dünnsten besiedelten Gegenden Europas.
Was das für unseren Alltag bedeutet? - Eigentlich nicht viel, dank Internetzeitalter & Globalisierung fühlen wir uns nie so abgeschieden, wie man es sich vorstellt und wie wir es mitunter gerne hätten. Aber ein laufendes Wildniscamp zu führen UND ein Offgrid Leben führen sind zwei für uns sehr schwer zu vereinende Dinge. Dieses Camp, unser Geschäft, unser Zuhause, haben wir begonnen in den letzten drei Jahren aufzubauen. 1,5 Jahre davon ziehen wir ab da, naja, weltweite Pandemielage herrschte. Wir stehen also noch am Anfang von Allem. Und dennoch kommt es uns manchmal so vor, als hätten wir schon sehr viele Jahre hier verbracht. Nicht nur das Camp, auch Ivalo ist uns ein Zuhause geworden. Ein Leben ohne finnische Sauna und diese unbeschreibliche klare Luft des Nordens, ohne die Magie der Nordlichter und das Glitzern der Mitternachtssonne auf den glasklaren Seen. Ohne feuerrote Blaubeerbüsche im Herbst, ohne Regengüsse und ohne würzigem Frühnebel über dem See. Ohne all das können wir uns unser Leben nicht mehr vorstellen.
Und eigentlich hat ja Alles auch ein wenig früher angefangen. Hier auf dem Foto (aufgenommen Ende Oktober 2015) sehen Markus & ich zum ersten Mal in unserem Leben Nordlichter. Gemeinsam.
Wer hätte gedacht dass mit diesem Augenblick, kniend auf der vom ersten Frost schimmernden Spätherbst Strasse irgendwo in den Weiten Nordfinnlands, unsere Reise beginnen würde? Ich glaube am aller wenigsten wir selbst. Zwei Jahre nach dieser Aufnahme bin ich zu Markus in die Schweiz gezogen. Nochmals zwei Jahre später haben wir erneut die Koffer gepackt und uns auf den Weg nach Finnland gemacht. Diesmal für den Rest unseres Lebens.
Mit 19 Hunden und dem wenigen Hausrat, den wir noch besassen, fuhren wir 7 Tage lang diesem neuen Leben entgegen. Dieser anstrengende Praxisteil der Auswanderung war nur der Mittelpunkt unserer Reise, ein kurzes Durchatmen. Davor lagen endlose schlaflose Nächte des Planens und Organisieren. Hunderte von kleinen und grossen Zerreissproben hatten wir bis zu dem Tag, als wir die Autotür zuschlugen und erst die Planken der schweizerischen Autobahn und dann die Landesgrenzen zu Österreich passierten, bereits hinter uns. Proben, die uns zwischenzeitlich fast zum Aufgeben gezwungen hätten. Ob aus körperlichen Gründen, fehl geschlagenen Investitionen und schwierigen bürokratischen Hürden bis hin zu der grössten Probe: eine junge Beziehung, aufgeladen mit der Verantwortung gegenüber ner Menge Hunden, uns selbst und auch einer Firma.
Und wie viele Stunden voller Sorgen und Hürden danach noch folgen sollten. Nur weil wir bei unserem Traumziel (im lokalen Sinne) angekommen waren, bedeutet es nicht, dass es nicht auch Alptraum Tage gab. Ja, wir sind dankbar und glücklich hier leben zu dürfen. Es sind die winzigen Momente, die vielen alltäglichen Augenblicke, die unser Leben erfüllen. Und neben all den schönen Videos und Bildern bleibt die Realität stehen, dass dieser Job und das Leben unseres Traums mit harter Arbeit verbunden sind. Als wir dann also vor wenigen Tagen bei Freunden auf dem Sofa sassen und finnisches Bier tranken, während Aaro in meinem oder Markus Schoss vor sich hin döste, fühlte sich das "hier sein" sehr real an. Realer als wir es für möglich gehalten hätten.
Wir sind in Nordfinnland gelandet, im März 2018, und werden das Grundstück gleich zum ersten mal sehen.
Und da sind wir. Oft auf Bildern gesehen, aber nun endlich standen wir auf dem See vor dem, was einmal unser Camp werden würde.
Die Fragen danach was uns am Meisten fehlt, ob wir das Alles nochmals machen würden oder wo unser Zuhause ist, begegnen uns im Alltag immer wieder. Doch gestern kam eine Frage, die ich so nicht erwartet hätte. Ein Gast sagte zu mir "Das ist ja alles schön und gut hier. Aber mal ehrlich. Das ist doch Nix für immer oder? Ich meine, so bis zur Rente? Und dann das normale Leben. Wann wollt ihr das weiterführen? Was ist mit Kino, Kneipen, Hobby, Feiern mit Freunden und Familie. Naja ihr wisst schon. Also, wann geht ihr zurück?" Ich zögerte eine Sekunde, nicht ganz sicher was meine Antwort auf diese Frage sein sollte. Ich wollte sagen: "Niemals. Warum sollten wir zurück? Das hier ist unser Leben. Und wenn wir Glück haben dürfen wir hier bleiben bis wir sterben. Das hier ist unser Zuhause. Ausgelebt haben wir uns genug. Und irgendwann hat uns - ganz unabhängig voneinander - etwas gefehlt. Ohne zu begreifen warum genau, zog es uns mehr und mehr "hinaus". Hinaus aus kulturellen Strukturen und hin zu Natur und Tieren. So sehr, dass uns auch die schönsten Ecken der Schweiz oder Deutschlands nicht mehr "ruhig" genug erschienen. So stark war dieser Drang, dass nicht einmal die Liebe zu Familie und Freunden die Leere füllen konnte. Dieses Gefühl in einer Welt verloren zu sein, für die wir nicht gemacht waren. Wir fühlten uns seltsam fehl am Platz und das schon seit geraumer Zeit. All diese Gefühle, tosenden Gedanken und die innere Unruhe kamen zum Erliegen, wenn wir im Norden waren, inmitten dieser atemberaubenden Natur und begleitet durch Hunde. Und einmal von dieser Kombination gekostet, konnten wir nicht mehr anschliessen an die Leben die wir vorher hatten. Jetzt, da wir wussten was uns gefehlt hat, konnten wir nicht einfach weiter machen und so tun als hätte es diesen Augenöffner nie gegeben."
All das und noch mehr wollte ich antworten. Doch ich zuckte nur die Achseln, lächelte schief und sagte "Warum zurück? Ist doch eigentlich ganz schön hier ;) "
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