Ende August, die schwülen und drückenden Sommertage lösen sich nach und nach in kräftigen Gewitterschauern auf und verabschieden sich wortwörtlich mit tosenden Donnerschlägen für dieses Jahr. ' Während wir unter den hölzernen Dachgiebeln unseres Schlafzimmers liegen und der Regen erst zaghaft, dann immer stärker werdend auf das Blechdach trommelt wird uns bewusst, dass mit den Starkregengüssen, die sich ihre Bahn über den grossen Kiesplatz hinab zum See bahnen, auch der letzte Hauch des Sommers fortgespült wird. Das Knallen des Blitzes, der nicht weit entfernt in eine grosse Tanne einschlägt lässt die gesamte Umgebung erzittern. Es ist drei Uhr nachts und der Himmel birgt eine Dunkelheit, die die hellen endlosen Sommernächte ablöst und uns auf die kommende Zeit der Polarnacht vorbereitet. In diesem Sommer hatten wir heftigere Stürme und Unwetter als in den Jahren zuvor. Während wir schlaflos von einer Bettseite zur Anderen rollen und Aaro seelig und nichts ahnend von den Gefahren der Naturgewalten zwischen uns schlummert, kracht und knallt es über mehrere Stunden über unser Camp hinweg. Die besonders sensiblen Hunde sind unten im Wohnzimmer und haben sich tief in die Sofakissen gedrückt, um die Nacht zu überstehen. Am nächsten Morgen ist nichts mehr von dem Unwetter zu spüren, nur die klare und deutlich kühler gewordene Luft, sowie die Wasserrinnen auf dem Kiesplatz zeugen von dem Sturm der vergangenen Nacht. Mit der dampfenden Kaffeetasse in der Hand werfen wir einen Blick auf das Thermometer und es bestätigt: kalt! Kalt genug um mit den Hunden zu trainieren. Das erste Training nach der Sommerpause ist immer ein besonderes Spektakel. Nicht nur, dass die Aufregung und damit verbundene Lautstärke der Hunde ins Unermessliche steigen, auch ist es der Beginn der (besonders von Josi) heiss geliebten Herbstzeit. Alle merken es: die Campinggäste ziehen sich den besonders dicken Fleecepullover über, wenn sie die Abende am Steg verbringen. Die Vögel kehren an die Futterstellen zurück um sich für den Winter Fettreserven einzuverleiben. Und die Hunde vibrieren vor Anspannung, wenn der kalte Morgentau auf die vor uns liegenden Frostnächte hinweist. Vor einer Woche, an einem dieser kühlen Morgen, hatten zwei Gäste aus der Schweiz eine Gespannfahrt gebucht. Trotz 4 Monate altem Kind auf dem Arm, gingen unsere Handgriffe sehr schnell wieder in die gewohnte Routine über. Trainingswagen hinstellen, das Startseil festbinden und überprüfen, ob es dem Druck von 10 gleichzeitig wild ziehenden Hunden standhält. Das Rentierfell abklopfen und über die hölzerne Passagier-Sitzbank werfen, die Giesskannen mit Wasser befüllen und zum grossen schwarzen Plastiktrog in der Mitte des Trainingsplatzes tragen. Jeder Arbeitsschritt folgte einer ruhevollen Gewohnheit und brachte eine meditative Stimmung mit sich. Nach der Einführung der Gäste und dem gemeinsamen Angeschirren der Hunde, fand diese Ruhe sehr schnell ihr Ende. Immer stärker schwoll die Lautstärke der Hunde an. Aus einem anfänglichen aufgeregten Winseln erwuchs in wenigen Minuten eine aufgeheizte Stimmung, die am Ende - wenige Sekunden vor dem Start - in tosendem Gebell und Geheul aller Hunde gipfelte, uns und die Gäste überrollte, sodass wir uns nur noch mit Handzeichen verständigen konnten. Dann ging es los, das Startseil wurde gezogen und im Bruchteil einer Sekunde abrupte Stille, alle Anspannung, jede Faser der aufgeregten Konzentration entlud sich nun in den vor Anspannung zuckenden Muskeln unserer Hunde die den Wagen anzogen. Ich trat einen Schritt zur Seite und kehrte mich um, sodass ich nicht mehr die Hunde sondern Markus und den Gast im Blickfeld hatte. Etwas hinter dem sich in Bewegung setzenden Trainingswagen erregte meine Aufmerksamkeit. Jedoch reagierte mein Gehirn zu langsam auf den fremden Reiz, der in dieser Szenerie vollkommen falsch war. Etwas, was nicht da sein sollte.
Während das schwarze Startseil in Zeitlupe in einer Schlinge um den Pfosten glitt und die volle Kraft der Hunde entfesselte, die Räder des Wagens das Kies unter ihnen in alle Richtungen springen liess und Markus Hände schon im Begriff waren die Bremsen, rechts und links des Lenkers, anzuziehen, bewegten sich zwei Hunde HINTER dem Trainingswagen ebenfalls in Richtung des Startbereiches. Ich sah sie, ich erkannte sie. Cherokee und Sikari liefen dort, ganz frei, ohne Geschirr und ohne Zugseil in vollem Galopp auf Markus und sein Team zu. Liefen daran vorbei und an den kleffenden Mäulern, die irritiert durch den Reiz freilaufender Hunde zur Seite schnappten, und in ungebremster Geschwindigkeit auf das Tor zu. Zeitgleich mit den Leithunden des sich bereits in Bewegung befindlichen Gespannes, erreichten sie die hölzernen, weit geöffneten Flügel. Markus und ich sahen einander in die Augen, während er auf dem Wagen trohnend, an mir vorüber flog. In diesem Moment, in dieser Sekunde des Blickkontaktes, löste sich die Zeitlupe auf. Alles zurück auf Normalgeschwindigkeit. Markus war davon, die losen Hunde ebenfalls, weit vor ihm. Noch während ich mich selbst (vergebens) die Namen der beiden Hunde rufen höre, renne ich bereits zum Auto. Hebe Aaro in den Kindersitz und zurre die Gurte in Sekundenbruchteil fest. Der zweite Gast steigt ein und gemeinsam lassen wir das Kies nun unter den Rädern des Jeeps springen, während wir ihn wenden und dann hinter dem Hunde-Ensemble hinterher jagen. Während der wenige Minuten dauernden Fahrt, überlegte ich wie zur Hölle das passieren konnte. Cherokee und Sikari waren beide, verletzungsbedingt, im Haus. Die Hintertür war zur Veranda ausgerichtet und grenzte direkt an das Wohnzimmer. Wo beide hätten friedlich auf dem Sofa schlummern sollten. Anscheinend liess die Vorfreude auf die beginnende Herbstsaison jedoch auch ihre Systeme durch brennen und verleitete Cherokee dazu ihre ganze Intelligenz darein zu stecken, die bereits hundesicher umgehängte Türklinke zu öffnen. Cleveres Mäuschen, fluchte ich innerlich. Ein in Vollgas abgegangener Hund mag jetzt für euch als Leserschaft nicht sehr imposant oder besorgniserregnd wirken. Sicherlich kommen die Hunde auch wieder. Jedoch ist das tief verwurzelte Jagdbedüfrnis unserer Hunde so ausgeprägt, dass sie sicher erstmal strömern würden. Für wie lange hätte Niemand gewusst. Und was dabei passiert ebenfalls nicht. Verletzen sie sich evt. in unwegsamen Gelände? Werden sie von Rentierzüchtern entdeckt und evt. erschossen? Ich drängte die aufkeimende Besorgnis zur Seite und richtete den Fokus auf das Adrenalin, was noch vom Start in meinem Körper zirkulierte. Noch bevor wir die Grenzen unsere Grundstückseinfahrt erreicht hatten sah ich sie schon stehend. Markus hatte das Gespann "geparkt" (wenn man es so betiteln kann, ein total energie geladenes Huskyteam direkt nach dem Start irgendwie halten zu müssen) und hielt in der linken Hand Cherokee am Halsband, während er mit dem rechten Arm die Bremsen des Wagens umklammerte. Der Gast, als Beifahrer, hielt Sikari in der Hand. Mein Gehirn konnte nicht recht verarbeiten, wie schnell die Hunde wieder da waren. Aber anscheinend haben die Lieblings-Mädels von Markus ihm alle Ehre gemacht und sind direkt auf die ersten Rufversuche von ihm stehen geblieben, sodass er nur zu ihnen auffahren musste. Sie warteten artig auf ihr Herrchen und das restliche Gespann. Ich stieg aus, packte beide Mädels am Halsband und führte sie zum Auto. Hechelnd und glücklich - so sah es zumindest beim Blick in den Rückspiegel aus - schauten sie aus dem Fenster während wir zurück ins Camp fuhren. Die Tour konnte normal fortgesetzt werden. Die Gäste hatten einen wohl unvergesslichen Trainingstag erwischt. Und wir haben seitdem eine neue Regel: keine Hunde im Haus während der Trainingszeit. Nun ja, Leben heisst Lernen.
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