Hin und wieder müssen wir uns ehrlich gegenüberstehen und fragen:
was machen wir hier eigentlich - Und machen wir es richtig ?
(Fühlt euch eingeladen bis zum Ende zu Schmökern
um mehr über unsere Ansichten zur Arbeit mit unseren Hunden zu erfahren.)
Es ist ein betriebsamer Morgen im Camp. Familienbesuch, Gäste & Freunde im Auszeitmodus, Moni & Pepi, unsere Wintermitarbeiter - Alle wuseln geschäftig durch den ersten Schneemorgen des Jahres. Die Aufregung ist beinahe greifbar und auch den müdesten Augenringen und Morgenfalten auf der Stirn, begierig darauf wartend vom ersten Kaffee des Tages glatt gezogen zu werden, gelingt es nicht den Funken kindlicher Freude zum Erlischen zu bringen. Der erste Schnee. Es ist nicht besonders viel, was dort von den dunkelblau verhangenen Schneewolken auf uns hinab schneit.
Auch wird es nicht sonderlich lang halten. Und dennoch: Niemand der Anwesenden kann sich der Magie des ersten Schnees verwehren. Die Holztüren unseres Hauses sind im Hochleistungsbetrieb. Von Kälte gerötete Hände drücken die Klinken, durcheilende, hektische Schritte von Füssen in dicken Wollsocken, mit einer noch dickeren Schicht an Hundehaaren unter den Sohlen, schlurfen über die abgenutzten Holzdielen. Vom Schnee benetzte Wolljacken und Regenmäntel hängen im Vorraum, leise rinnen die Tropfen am harten Stoff der Arbeitskleidung hinab. Es riecht nach nassem Hund, gemischt mit der wohligen Wärme frisch gebrauten Kaffees. Ich bin auf dem Weg nach draussen, schlüpfe in meine gefütterten Gummistiefel und drücke mich an Moni vorbei, die grade mit der Morgenversorgung der Hasen & Hühner fertig geworden ist und die letzten Krümel der Sägespäne, unter dem halb geöffneten Vordach des Eingangsbereiches von ihren Kleidern schüttelt. Auf dem Weg vom Haupthaus zur Futterküche lege ich meinen Kopf in den Nacken und blicke mit halb zugekniffenen Augen gen Himmel. Die Anfangs malerisch herab fallenden dicken Flocken, wandeln sich mehr und mehr in schmierende Regenschleier. Und dennoch: der erste Frost war da. Er befeuchtete noch immer den Boden und steckte in den Knochen derer, die seit den frühen Morgenstunden betriebsam draussen bei den Tieren verbrachten, die erste zarte Eisschicht auf den silbrigen Metallnäpfen aufbrachen und sie mit frischem Trinkwasser befüllten.
Die Mischung aus Kälte und grenzenloser Vorfreude über den Schnee lässt ein wenig rote Farbe in meine teigig gewordenen Wangen zurück kehren. Ich senke meinen Blick und schreite weiter über den Hof, bis meine Hand auf der silbrig herab hängenden Klinke der Eingangstür zur Fütterküche ruht. Die Klinke wirkt schlaff und leblos, was daran liegt, dass das Schloss die vergangenen Winter nicht gut überstanden hatte und nun ersetzt werden musste. Mit einem leisen Seufzen klopfe ich den herabrinnenden Schneematsch, an der hölzernen Aussenplanke der Tür, von meinen Stiefeln, trete über die Schwelle und greife mit meiner rechten Hand zu den Stiften, die sich in einem kleinen Plastikbecken unterhalb unserer weissen Arbeitstafel sammeln. Ich ziehe die To-Do Liste unter dem grossen schwarzen Magenten hervor, der sie an dem Whiteboard festhielt und ergänze "Eingangstür Fütterküche, Schloss wechseln", drücke die Kappe wieder auf den Stift und lasse die rutschig laminierte Folie der Liste zurück unter die haftene Kraft des Magnetes gleiten. Anschliessend wandert meine Hand zum Schalter neben der Tafel und in Sekundenschnelle ist der kleine holzvertäfelte Raum in warmes Licht getaucht. Ich atmete tief ein und versuche alle "dringend-zu-erledigend" Gedanken aus meinem Kopf zu streichen. Eine Mischung aus sterilem Desinfektionsmittel und vom sauren Essigreiniger entfernten Futterresten, brennt sich in meine Nase.
In zwei kurzen Schritten habe ich den Raum durchmessen, mich an der grau-belederten Behandlungsliege der Hunde vorbeigedrückt und bin am Gestell mit den medizinischen Erstversorgungs Produkten für unsere Tiere angelangt. Im nächsten Dorf gibt es zwar einen Tierarzt, aber der leistet nur die rudimentärste Notfallversorgung oder ist mit der Behandlung der Rentiere beschäftigt. Deswegen ist das Motto "Hilf dir selbst" hier oben wörtlich zu nehmen und Alles, was wir uns zutrauen selbst zu reinigen, zu desinfizieren, behandeln und pflegen, tun wir auch.
Das gehört zum Alltag mit unseren Hunden dazu. Ob wir wollen oder nicht. "Eigentlich eher nicht", seufze ich in Gedanken während meine Hände mechanisch alle Materialien die ich zur Wundversorgung benötige, in einem kleinen vergitterten Plastikkörbchen zusammen packen.
Viele Wochen blieb der Raum hier lediglich für die Futtervor- und zubereitung genutzt. Die kleine medizinische Versorgungsecke, bestehend aus Mulltüchern, Verbänden, Medikamentenschachteln, Salben, Cremes, Auflagen, grossen sperrigen Halskrause aus Hartplastik, Maulkörben, Hundedecken, Desinfektions- und Reinigungsmittel, blieb lange unangetastet.
Doch es wäre nicht real, würde dieser Zustand sich nicht ändern. Wir befinden uns mitten in der Saisonvorbereitung. Das Herbsttraining hat begonnen und mit den fallenden Temperaturen steigt das Temperament unserer Hunde. Die über die Sommerpause lang vergessene Energie, staut sich nun innerhalb von Tagen bis ins Unermessliche an. Und ehe wir wieder einen gleichmässigen Trainingsstand erreichen, so wie in der Wintersaison, dauert es eine Weile. Die Hunde müssen - genau wie Menschen im Leistungssport - langsam herangeführt werden. Ein stetiges Aufbau und Intervalltraining. Doch ihr Energielevel zu Beginn des Herbsttrainings sagt leider etwas Anderes. Sie benehmen sich wie Muskelprotze, vollgepumpt mit Steroiden, deren Hormonlevel an der Hirnrinde kratzt und jedwedes vernunftbasiertes Denken unter dem Druck erstickt. Und der Druck steigt, bis die Schädeldecke platzt und es eskaliert.
Zum Glück nicht immer extrem, unsere Hunde sind aneinander gewöhnt. Leben in einer Gruppe zusammen und kennen sich. Haben genug Platzt zur sozialen Interaktion, können sich aus dem Weg gehen, haben Rückzugsorte und sportliche Auslastung. Sie haben uns, die permanent anwesend sind. Führen eine Mischung aus Arbeits- und Haushund. Und wir versuchen sie dazu zu befähigen, selbstbewusst aber ausgeglichen durchs Leben zu gehen. Ohne allzu viel Stress bei dem, was sie so sehr lieben: das Ziehen.
Naja. Leider gibt es dennoch immerwieder Baustellen. Und Reibereien. Unsere aktuell grösste Baustelle: die "Welpen". Unsere im vergangen Jahr geborenen Geschwister, 6 an der Zahl, mischen das Gruppenleben stark auf.
Es stimmt, was man über Geschwister-Hunde sagt: "The more- the merrier... bezogen auf Trouble". Sie entwickeln eine Eigendynamik und Energie, die mit unter schwer zu lenken ist. Und das dann im Kontext der Mehrhundehaltung wirft uns aktuell in eine Situation, die wir SO noch nicht erlebt haben.
Wir leben mit -, und arbeiten mit -, und bauen sie auf, unsere Hundegruppe, seit 2016. Wir hatten viele Hürden auf diesem Weg, Beissereien, Auseinandersetzungen, Hunde die "unsozialisierbar" schienen. Vor Allem die Hunde, die wir ohne grosses Vorwissen über Charakter aus zweiter Hand übernommen haben. Deren Geschichte wir zwar kannten ("stammt aus dem Tierschutz/Vernachlässigung/an Kette anleingelassen/Unfallwurf/ungewollter Familienhund..."), allerdings nicht, welche tatsächlichen Spuren diese Geschichte bei den einzelnen Hunden hinterlassen hatte.
Das Leben mit unseren Hunden ist ein Lernen. Wahrscheinlich lebenslang. Und damit meine ich nicht nur in poetischer Sichtweise, dass sie uns lehren reflektierter zu sein und "ein besserer Mensch", sondern die Wesenseinschätzung von Hunden im Allgemeinen. Wie sie in welchen Situationen, warum, wie reagieren. Was triggert sie und woher kommt dieser Triggerpunkt? Ist es genetisch - ist es erlerntes Verhalten? Und falls ja: wie schaffen wir Sicherheit für diesen Hund, um NEU lernen zu können.
Es gibt kein Grundrezept für Alle. Mit jedem neuen Hund müssen wir uns wieder komplett neu einstellen. Sicher können wir manche Handgriffe und Tricks anwenden. Wie bewahren wir den Hund vor Überforderungen, Anzeichen von Stress interpretieren, was auf den ersten Blick gar nicht wie Stress aussieht, wie beenden wir einen Kommentkampf, bevor es zum Ernstkampf (zum Glück #toitoitoi# bei uns nicht) kommt. Wann gehen wir dazwischen/ gehen wir überhaupt dazwischen? Was lassen wir laufen und wo setzen wir Grenzen? All diese winzigen täglichen Entscheidungen, bei denen wir permanent präsent sein müssen, da unsere Hunde auf uns und unsere Entscheidungskraft vertrauen, finden hinter den Kulissen statt. Eine Arbeit die man auf Social Media kaum sieht, da es oftmals so viel mehr ist und ein langmonatiger Prozess, bevor man überhaupt etwas zu berichten hat. Es gibt also einen Punkt, den alle Hunde gemeinsam haben, die wir neu integrieren: Zeit. Es dauert mitunter sehr lange, bis ein Hund uns vertraut. Bis ein Hund der lebenslang an der Kette gelebt hat, sich auf einmal auf dem Sofa neben dir einrollt und sich streicheln lässt. Zeit geben zum Lernen. Zeit, zu verstehen wie dieses neue Leben bei uns funktioniert. Hier in der Gruppe. Und diese Zeit, diese Geduld, ist etwas was unsere 6 köpfige Geschwisterbande nicht besitzt. Sie sind mitten in der Pubertät - 4 Weibchen, 2 Männchen. Einzeln oder zu zweit sehr gut zu händeln. Aber als Pulk, als Gang, momentan äusserst mühsam. Sie mobben, verbünden sich, stacheln so lange an, bis es eskaliert.
Wir haben aktuell 6 Hunde im Haus, die sich von grossen und kleinen Blessuren erholen. Darunter eine frisch kastrierte Hündin und eine Hündin die im Herbsttraining eine Wunde unter der Achsel gelaufen hat. Eine Hündin, die einen Holzsplitter im Auge hatte der entfernt wurde und die jetzt täglich Augentropfen benötigt. Und dann noch drei Hunde, die ihre Behandlung den Welpen, bzw. der durch die Welpen aufgeheizten Stimmung verdanken, mit einer Bisswunde im Ohr und einer Bisswunde am Oberschenkel, sowie einer der Welpen mit geschwollenem Gelenk - aus einer Überbelastung vom wilden Spiel mit den Geschwistern.
Ich seufze, erneut, klemme mir das weisse Plastikkörbchen unter den Arm, lösche das Licht und schiebe die Tür mit dem rechten Fuss auf. Klinke funktioniert ja nicht. Während der wenigen Minuten in der Futterküche hat sich der Himmel über dem Camp erneut verdunkelt und jetzt fällt weniger Regen und wieder mehr Schnee. Ich schmunzle. Was für eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Während ich langsam durch den leisen Schneefall schreite, brummt es in der linken Hemdtasche meiner braun karrierten Arbeitsjacke. Mit der freien Hand krame ich das Telefon hervor und sehe auf dem Anzeigenbildschirm den Namen eines befreundeten Arbeitskollegen aus der Region. Er leitet gemeinsam mit seiner Frau einen Kennel, nicht weit von uns. Der Kennel gehört zu einem grossen Franchise Unternehmen, die Besitzer sehen die Hunde lediglich in ihrem Marktwert und betrachten sie mit glänzenden Augen, wenn die Bilanz stimmt. Ähnlich dem Geschäft von Verleih und Anbieten von Touren mit Schneemobilen. Massenware in Augen der Besitzer, schnell mal eben einen Kennel hingezimmert, ein paar Hunde dazugekauft. Ohne grosses Konzept, ohne Überhaupt eine Ahnung. Doch zum Glück sind unsere Freude, die als Manager für diesen "Betrieb" eingesetzt wurden ein Lichtblick in dieser Maschinerie. Im Rahmen ihrer (streng limitierten) Möglichkeiten geben sie Alles für die Hunde. Bzw. - wie ich jetzt dem traurigen kurzen Mitteilungstext entnehmen muss - gaben Alles. Es wurde ein neuer Kennelmanager eingestellt. Jemand, der "umgänglicher" sei. An dieser Stelle ist umgänglich das Synoynym für "weniger Fragen, weniger Kosten, haltlose Versprechen". Es frustriert mich. Zwei tolle und mitfühlende Leiter, die wirklich um nachhaltige Veränderung in unserer Branche bestrebt sind, schmeissen das Handtuch. Ersetzt durch ein weiter gut geöltes Zahnrad in der Maschine der Schlittenhundeindustrie. Doch darum geht es nur am Rand. Ich scrolle weiter nach unten und überfliege den Text. Sie müssen raus aus ihrem Haus - was ihnen nur durch ihre Stellung als Kennelleiter zur Verfügung stand. Das innerhalb einer Woche. Sie nehmen ihre wenigen Habseligkeiten und ihre eigenen Hunden mit. Die restlichen 45 Hunde müssen sie den Händen des Schicksals überlassen. Doch zwei ganz Spezielle können und wollen sie nicht zurücklassen. Sie sind fantastische Arbeitshunde, allerdings mit körperlichen Einschränkungen. Kurz gesagt benötigen sie bis ans Ende ihres Lebens regelmässig Medikamente. Keine grosse Sache. Aber gross genug, um den Besitzer des Tourismusunternehmen zu überzeugen, dass diese Hunde nur Kosten verursachen. Und somit "weg müssen". Die Interpretation des "weg müssens" überlasse ich an dieser Stelle euch, die ihr diesen Artikel lest. Verzweifelt, da nicht wissend wohin mit sich selbst, sind unsere Freunde aber immernoch so besorgt um die Hunde, die sie zurücklassen müssen. Und fragen, ob wir diese zwei ganz Besonderen nicht aufnehmen können. Nur vorüber gehend. Solange bis sie eine andere Möglichkeit gefunden haben. Vielleicht eine Adoption oder ein anderer Kennel, der bereit ist sie aufzunehmen. Doch sie müssen JETZT, da weg.
Ich halte inne auf dem Weg zum Haupthaus, dränge mich unter das schützende Vordach damit nicht noch mehr Schnee auf den bereits verschwimmenden Bildschirm tropft.
Puh. Eigentlich ist klar, was zu tun ist. Ich blicke auf das Körbchen mit dem Desinfektionsmittel unter meinem Arm. Dann hebe ich den Kopf und starre durch die Fensterscheibe in das Innere unseres Hauses. Drei Hündinnn haben es sich, nebeneinander eingekuschelt, auf dem Sofa gemütlich gemacht. Meine Patientinnen die es noch vor dem Frühstück zu versorgen gilt.
Ich erinnere mich an den Tag, an dem Markus und ich sie aus den verschiedenen Kenneln abgeholt haben. Überall dasselbe Bild. Hund an Metallketten und in bretterverschlagenen "Hütten". Hunde von denen gesagt wurde, sie seien nicht verträglich in der Gruppe. Sie wären zu nervös, um ins Haus genommen zu werden.
Und ich weiss, dass Markus und mich ein ähnliches Bild erwarten wird, wenn wir morgen in unser Auto steigen und zu unseren Freunden fahren. Wir werden nur mal gucken wie die Hunde so drauf sind. Uns ein erstes Bild verschaffen.
Aber wohin mit ihnen? Jetzt, am Beginn des Herbsttraining. Mit all dem Chaos, den die Welpen verursachen. Mit all unseren Hunden, bei denen wir uns die Frage stellen ob wir auch wirklich Jedem gerecht werden. Jeden Tag hinterfragen wir uns, ob wir das Richtige tun.
Und dann sind dort diese Zweifel. Und das Gefühl nicht genug tun zu können. Mehr tun zu wollen.
Und deswegen werden wir morgen in unserem Auto sitzen. Den Weg durch die aufkommende dunkle Jahreszeit raus zu unseren Freunden fahren. Und mal schauen. Mal schauen, was möglich wäre.
Ist das klug? Nein. Wohin mit den Hunden, ohne das unsere ohnehin nervösen Rüden noch nervöser werden? Keine Ahnung.
Es ist Quatsch. Wir haben keinen Platz und realistisch gesehen so kurz vor der Saison keinerlei Ressourcen.
Aber wir fahren hin. Mal gucken was wir tun können.
We keep you updated.
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