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josephinhabermann

18 Minuten









Meine Wimpern klammerten sich klebrig aneinander, als das leise kaum wahrnehmbare Fiepen über mein Ohr an mein Unterbewusstsein drang und sie dazu zwang auseinanderzugehen. Während meine Augen sich weigerten die letzte Kraft aufzubringen, um den tatsächlichen Zustand es "wach seins" einzuberufen, drehte ich meinen Kopf zur anderen Bettseite.

Ein sattes Schmatzen kam mir entgegen, gefolgt von einem tiefen Seufzer. Aaro befand sich noch immer seelig schlummernd im Traum - wie sehr ich ihn beneidete. Mittlerweile war das sanfte Fiepen zu einem drängenden Jammern angewachsen, das ich unmöglich ignorieren konnte. Ich verlor also den Kampf über die Schwere meiner Lieder und zwang sie auseinander. Stumpfes dunkelgraues Licht empfing mich. Draussen vor dem Fenster wiegten sich die Konturen der Tannenäste im Herbstwind und schwere Regentropfen trommelten so rhythmisch auf das Blechdach, dass ich fast wieder nahtlos in den Schlaf geglitten wäre. Doch ein Stockwerk weiter unten wartete jemand auf mich. Also schlug ich die Bettdecke zur Seite, die mit der extra flauschigen, angenehm angerauten Baumwolle bezogen war. Jetzt da die dunkleren Nächte in Lappland Einzug erhalten, bemühen wir uns alle Alltagsgegenstände im Haus so einladend und seelentröstend wie möglich zu gestalten. Umso widerspenstiger gab ich diesen Trost nun auf, drückte die weiche Decke zur Seite und schlürfte mit nackten Füssen über den mit Holzdielen bedeckten Fussboden. Der Farbe des Himmels nach zu urteilen, die sich irgendwo zwischen Dunkelgrau und Schatten bewegte, müsste es ca. 5 Uhr morgens sein.


In Dunkelheit stieg ich die steile Holztreppe zum Wohnzimmer hinab. Selbst die Hunde waren zu faul um aufzustehen und hoben nur verächtlich ihr Köpfe vom Sofa als ich den Lichtschalter an der Wand betätigte. Warmes Gelb durchflutete den eben noch grau-matschigen Schein des anbrechenden Herbsttages. Sie zogen automatisch ihre Köpfe zurück und steckten demonstrativ die Nase unter ihr Schwänze als sie sich tiefer in ihre Schlafstellen drückten. "Treuloses Pack", murmelte ich während ich über den Fakt hinweg sah, dass sie es nicht für nötig hielten das Leid ihrer Herrin zu teilen. Kein Hund setzte auch nur eine einzige Pfote vor die hintere Terrassentür, als ich sie kurz öffnet um ihnen ein Pipi Angebot zu machen. "Zu früh", sprang es mir förmlich ins Gesicht. Also gut. Ich schloss die schwere Holztür hinter mir und musste sie im letzten Moment ein wenig anheben, da sie sonst nicht richtig in das Schloss fiel. Mit einem starken Ruck dann der letzte Zug und sie war zu. Wie fast Alles in unserem Camp, was aus Holz gefertigt war, verzog es sich über den Wechsel der Jahreszeiten und unsere Hände reichten nicht einmal an den besten Tagen aus, um allen kleinen Reparatur-Arbeiten im privaten Bereich hinterherzukommen. Als ich von der Tür weg das Wohnzimmer hin zum Flur durchquerte, schnappte ich mir ein paar Socken von der Holzbank, die vor dem grossen Esstisch lehnte. Ein Blick aufs Thermometer zeigte 17 Grad an. Ja, der Herbst kam und brachte eine angenehme Frische mit sich. Doch noch weigerten wir uns die Heizung einzustellen oder den Kamin anzuzünden. Noch immer mehr im Schlaf als wach, öffnete ich die Tür zum Flur und wurde augenblicklich von einem durchdringenden Geruch empfangen. Ein Geruch den ich in und auswendig kannte und der mir verriet was meine Augen gleich sehen werden, noch bevor ich das Licht einschaltete. Während meine rechte Hand den Schalter drückte, wollte ich einen Fuss nach vorne setzen doch die rechtzeitig aufflammende Helligkeit rettete mich und liess meine Verse in einem Zentimeter Abstand vom Fussboden innehalten. Alle vor mir liegende Dielen waren über und über mit einer rot-bräunlichen Flüssigkeit bedeckt. Je mehr ich meinen Blick wandern liess, umso mehr wuchs das Ausmass der Verschmutzung. Ich konnte sogar Spritzer in den Einkerbungen der gegenüberliegenden, holz vertäfelten Wände ausmachen. Oh je, wie sollte ich das wieder sauber bekommen.

Noch während ich versuchte abzuschätzen wie viel Zeit mich die sich vor mir ausbreitende Kacke-Katastrophe kosten würde, wandte ich mich nach rechts. Zum einzigen unbeschmutzten Winkel dieses Raumes. Dort lag zusammengerollt und friedlich schlummernd Navajo, einer unserer Hunde. Er leidet momentan an einer Darmentzündung und muss deswegen abgesondert von den anderen Tieren schlafen, bis wir sicher sein können dass nichts Ansteckendes vorliegt. Der Geruch der sich mir in diesem winzigen Flur nun regelrecht entgegen drückte zeigte mir, dass (was auch immer in den Eingeweiden von Navajo vor sich ging) definitiv etwas nicht in Ordnung war. Doch alles Jammern half Nichts. Das hier putze sich nicht von allein. Ich schloss die Tür zum Wohnzimmer und stieg vorsichtig über den braunen See zu meinen Füssen und nutze die wenigen freien Holzflecken als Stützpunkt. Es erinnerte mich stark an die Kinderspiele, in denen man den Boden nicht berühren durfte weil dort brennend heisse Lava wartete, drohend einen zu verschlucken und man dann sofort disqualifiziert wurde. Da ich einen mangelhaften Gleichgewichtssinn besitze, war ich nie besonders gut darin. Die Gummihandschuhe gaben ein klebrig saugendes Geräusch von sich, als ich sie über meinen Handrücken hinab zum Handgelenk zog. Ich kramte den Putzeimer aus einem viel zu überfüllten Arbeitsschrank heraus und stellte ihn unter den Wasserhahn. Noch bevor ich ihn öffnete, um das heisse Wasser hinein fliessen zu lassen, hat sich schon eine winzige Pfütze im Eimer gebildet. Ich seufzte. Unser Wasserhahn tropft noch immer. Eines der winzigen Details die immer und immer wieder in den Hintergrund geschoben werden. "Erledigen wir morgen", zischen Markus und ich uns dann gegenseitig zu. Nur dass dieser Morgen nie kommt. Ich wischte den Wunsch an ein sich selbst reparierendes Haus mit dem Handrücken beiseite, der den Wasserhahn nach oben drückte und machte mich, bewaffnet mit Essigreiniger, Natronpulver und Desinfektionsmittel, knapp 40 Minuten an die Aufräumaktion. Alles natürlich vor weit geöffneter Haustür, damit der dämonische Fäulnisgeruch entweichen konnte. So schrubbte ich nun, noch immer in Pyjama Hosen aber mit dick gefütterter Arbeitsjacke über den Schultern, Haaren die strähnenweise aus dem wirr über dem Kopf zusammen gebundenen Knoten ragten und in Gummihandschuhen, bei angenehm nass-kalten 2 Grad, den Kot von den Wänden. Guten Morgen aus Lappland. Das sind Momente, die man nicht als Bild in der Story von Instagram hochlädt. Ich schmunzelte bei dem Gedanken, mich jetzt selbst zu fotographieren und das Ganze dann anschliessend ,mit kecker Musik unterlegt, hochzuladen. Doch weit komme ich nicht mit diesem Gedanken, denn ein viel dringenderes Geräusch schob sich zwischen alle Synapsengänge. Aaro war erwacht. Ich hob den Kopf und sah zur Flurdecke, über der sich in direkter Position das Schlafzimmerbett befand. Ich atmete tief ein (ein Fehler, da der Geruch noch immer überall sass) und wartete. Doch schon während ich die verseuchte Luft aus meinen Lungen ins Freie liess, ertönte der Mama suchende Schrei erneut. In Windeseile zog ich die Gummihandschuhe von meinen Händen, warf die frisch angezogenen Socken in die Kochwäsche - wie erwähnt war ich nie gut in "der Boden ist Lava"- und schrubbte Hände und Arme sicherheitshalber mit Kernseife ab. In der Geschwindigkeit zwei Treppenstufen auf einmal zu nehmen, klammerte ich mich am Geländer fest und bemerkte dabei zwei lose Schrauben, die auffällig wackelten. "Morgen" schoss es durch meinen Kopf, während ich schon oben angekommen war, die Schlafzimmertür aufstiess und mich neben Aaro ins Bett legte. Während Markus ihn in meine Arme legte sah er mit kaum existierenden Augen zu mir herüber in der Hoffnung, ich hätte bessere Nachrichten im Gepäck. Doch leider blieb mir nur zu sagen: "bin nicht fertig geworden". Mit dem tiefen Seufzen eines sehr müden Mannes, schälte er sich nun aus der Bettdecke hervor und stapfte im Dunkeln die Treppe hinunter um die Säuberungsaktion zu beenden. Während Aaro trank und wieder einschlief, genoss ich die wohlige Wärme der Bettdecke. Mein Blick fiel suchend auf den kleinen Wecker neben dem Kopfende: 05:42 Uhr. Perfekt. In 18 Minuten klingelte der Wecker. 18 Minuten. 17, 16, 15 ... und weg war ich. Noch schnell ein Powernap bevor der Tag beginnt.


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